Noch ’ne Million – Wer zahlt die Rechnung?

Die Sozialversicherungen steuern auf ein finanzielles Desaster zu: Bereits 2025 klafft in der gesetzlichen Krankenversicherung eine Milliardenlücke, während Experten bis 2035 einen Gesamtbeitragssatz von fast 50 Prozent prognostizieren. Die steigenden Kosten für Gesundheit und Pflege belasten Arbeitnehmer und Unternehmen gleichermaßen.

Arbeitgeber-Belastungsrechner der vbw

Berlin,23.01.2025 – Die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) hat anlässlich einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Verband der Privaten Krankenversicherung e.V. den Arbeitgeber-Belastungsrechner vorgestellt.

http://www.arbeitgeber-belastungs-rechner.de

In der vbw-Studie gibt es u.a. eine Szenarioberechnung für ein Krankenhaus mit 2.881 Mitarbeitenden zum Stichtag. Die anonymisierten Daten beruhen auf realen Zahlen eines existierenden Krankenhauses der Maximalversorgung. Wenn die Beitragsbemessungsgrenze für Kranken- und Pflegeversicherung angehoben wird oder ganz entfällt, steigen für Arbeitgeber die Lohnzusatzkosten. In dem konkreten Beispiel erhöhen sich diese Kosten um zehn Prozent, rund 1,2 Mio. Euro.

Worum geht es?

Die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung steigen dramatisch an. Für das Jahr 2025 werden Ausgaben in Höhe von mind. 345 Mrd. Euro für gesetzliche Krankenversicherungen (GKV) und 74 Mrd. Euro für die soziale Pflegeversicherung (SPV) prognostiziert. Anhand eines Simulationsmodells SIM.20 erwartet das WIP (Wissenschaftliches Institut der PKV) eine Steigerung der Beitragssätze zu den Sozialversicherungen (gesetzliche Rentenversicherung, gesetzliche Krankenversicherung, soziale Pflegeversicherung und Arbeitslosenversicherung) auf 45,2 Prozent des Bruttolohnes, bis 2030 sogar auf 45,2 Prozent.

Quelle: WIP – wissenschaftl. Institut der PKV

Das Simulationsmodell SIM.20 des WIP ist ein Instrument zur Projektion der finanziellen Entwicklung der Sozialversicherungen in Deutschland. Es berücksichtigt dabei Faktoren wie die gesamtwirtschaftliche Entwicklung, demografische Veränderungen und gesetzliche Rahmenbedingungen. Mit SIM.20 können zukünftige Beitragssätze der Sozialversicherungszweige, darunter die Gesetzliche Rentenversicherung (GRV), die gesetzliche Krankenversicherung (GKV), die Arbeitslosenversicherung (ALV) und die soziale Pflegeversicherung (SPV), prognostiziert werden. Die Zahl ‚20‘ betrachtet, was passieren wird, wenn sich die Vergangenheit der letzten zwanzig Jahre wiederholt, bzw. fortsetzt. Das Simulationsmodell berücksichtigt u.a. die demographische Entwicklung, die damit einhergehende Erwerbsquote, die Zuwachsrate der Lohnsumme für die Einnahmeseite. Zudem ermöglicht das Modell die Abschätzung des zukünftigen Bedarfs an Bundeszuschüssen zur Stabilisierung der Sozialversicherungen.

Stefan Reker, Leiter des Bereiches Kommunikation des Verbands der Privaten Krankenversicherungen (PKV) , erläutert: „Wenn das Verhältnis zwischen Einnahmen und Ausgaben der sozialen Pflegeversicherung in den nächsten Jahren so weitergeht wie im Durchschnitt der letzten 20 Jahre, dann würde sich schon 2030 ein Beitragssatz von 4,93 Prozent ergeben und 2040 sogar von 7,70 Prozent, wobei die hier genannten Beitragssätze ein modellierter Mittelwert zwischen Versicherten mit und ohne Kinder sind.“

Stefan Reker, Leiter des Bereiches Kommunikation der PKV

Dr. Frank Wild, Leiter des WIP, kommentiert: „Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wird sich die Zahl der Pflegebedürftigen in den nächsten 30 Jahren um etwa zwei Millionen auf fast sieben Millionen Menschen erhöhen. Die WIP-Studie zeigt, dass schon allein dieser Effekt dazu führt, dass der SPV-Beitragssatz für ein Mitglied ohne Kind von heute 4,0 Prozent auf 4,6 Prozent im Jahr 2030 bzw. auf 5,1 Prozent im Jahr 2040 steigen würde. In diesen Vorausberechnungen sind verschiedene kostensteigernde Effekte noch gar nicht enthalten, da sie aktuell nicht abgeschätzt werden können.“

Das IGES-Institut kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: Im Auftrag der DAK erwartet
es eine Steigerung des Gesamtbeitrags der Sozialversicherung bis 2035 auf 49,7 Prozent – ein Plus von 7,2 Prozentpunkten! Allein für die Krankenversicherungsbeiträge der 73 Millionen gesetzlich Versicherten wird ein Anstieg von 17,5 Prozent auf 20,0 Prozent innerhalb der nächsten zehn Jahre vorhergesagt. Die Berechnungen basieren auf Daten der Bundesministerien und Sozialversicherungsträger unter der Prämisse eines Wegfalls der Beitragsfinanzierung des Krankenhaustransformationsfonds, höherer Bundeszuschuss an die gesetzliche Krankenversicherung (GKV), und einer einnahmeorientierten Ausgabenpolitik in der GKV. Schon 2025 demonstriert die IGES-Projektion eine Unterdeckung der Ausgaben und errechnet je nach Szenario ein Defizit zwischen drei und knapp fünf Milliarden Euro.

Woher soll das Geld kommen?

„Auch wenn der Staat durch Zuschüsse die Finanzlage der Kassen verbessert, wird letztendlich durch die steigenden Ausgaben vor allem der Faktor Arbeit belastet – ob über höhere Steuern oder höhere Beitragssätze“, erklärt Prof. Thiess Büttner, Inhaber des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre an der Friedrich-Alexander-Universität, und Vorsitzender des unabhängigen Beirats des Stabilitätsrates.

Um nicht erneut die Krankenversicherungs- und/oder Zusatzbeiträge der GKV anzuheben, befürchtet der Verband der privaten Krankenversicherungen, dass die neue Regierung einen ‚Kniff’ anwenden wird: die Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze (BBG), die festlegt, ab welchem Bruttolohn keine zusätzlichen Krankenkassenbeiträge anfallen, wenn dieser überschritten wird. 2025 liegt dieser Betrag bei 66.150 Euro per anno. Es gibt vor der Wahl am 23. Februar 2025 keine offizielle Gesetzgebung, aber es existieren Prüfaufträge von SPD und Grünen, die das Bundesgesundheitsministerium beauftragt haben, die finanziellen Auswirkungen einer Erhöhung zu bewerten. Die Linke fordert sogar eine komplette Abschaffung der BBG, was faktisch eine Gesundheitssteuer wäre.

Wenn diese an die Beitragsbemessungsgrenze für Rente und Arbeitslosengeld in Höhe von 96.600 Euro brutto per anno angeglichen würde, erhöhten sich die Krankenkassenbeiträge von einem Bezieher dieser Gehaltsklasse um bis zu 46 Prozent. Dann würden immer mehr Gutverdiener in die Private Krankenversicherung (PKV) ausweichen. Um dies zu verhindern, würde absehbar auch die Versicherungspflichtgrenze (Jahresarbeitsentgeltgrenze) parallel erhöht. Doch das wäre de facto das Aus für die Wahlfreiheit von Arbeitnehmern, denn so gut wie niemand im typischen Wechsel-Alter zwischen 30 und 40 hat schon ein derart hohes Bruttogehalt.

Die Anhebung der BBG wird politisch oft als sozial gerecht dargestellt. Tatsächlich betrifft es jedoch fast jeden zweiten Facharbeiter, der sich zwar nicht als Besserverdiener sieht, aber dennoch in den neuen Beitragssatz fällt. Besonders in Branchen wie der Autoindustrie könnte dies erhebliche finanzielle Belastungen bedeuten.

Dr. Michael Waasner, Präsident der IHK zu Oberfranken/Bayreuth, warnt: „Stark steigende Lohnzusatzkosten sind eine weitere Belastung für den deutschen Standort, der dramatisch an Wettbewerbsfähigkeit verloren hat.“

Dr. Michael Waasner, IHK-Präsident zu Oberfranken/Bayreuth

Fazit

Die Stabilisierung der GKV-Finanzen darf nicht zu erheblichen Mehrbelastungen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber führen. Die von der GKV geforderte einnahmenorientierte Ausgabenpolitik darf auch vor Leistungskürzungen und/oder Deckelung nicht Halt machen.
Die langfristige Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherung bleibt ein zentrales Thema, das angesichts des demografischen Wandels dringend adressiert werden muss.

Veröffentlicht von Franka Struve-Waasner

Diplom-Kauffrau Franka Struve-Waasner ist zweifache Mutter und arbeitete knapp sechs Jahre als Pressesprecherin des Klinikums Forchheim-Fränkische Schweiz. Nach einer Station als Referentin Kommunikation beim Klinikum Neumarkt ist sie heute freiberuflich für verschiedene Unternehmen, wie das Krankenhausanalyseunternehmen BinDoc GmbH oder die Informationsplattform Health&Care Management in der Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, aktiv. Sie ist in vielfältiger Weise u.a. im Städtepartnerschaftskomitée Forchheim-Le Perreux oder DAV Sektion Forchheim engagiert. Sie ist verantwortlich für den Inhalt auf dieser Seite. Kontakt und Anschrift: franka_struve@web.de; Dreifaltigkeitsweg 1a, 91301 Forchheim

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