„Die Krankenhäuser, die in der Reform dringend gebraucht werden, haben Riesenprobleme, den Start oder das Ende der Reform überhaupt noch zu überleben oder zu erleben.“ Michael Cerny, Oberbürgermeister der Stadt Amberg
Berlin, 23.09.2024 – Die Stadt Amberg ist eine kreisfreie Stadt, ergo verantwortlich für die kommunale Gesundheitsversorgung. Deren St. Marien Krankenhaus hat im Jahr 2024 ein Defizit von 18 Millionen Euro angehäuft, das vollständig aus dem städtischen Haushalt ausgeglichen werden muss. Oberbürgermeister Michael Cerny erklärt im Interview, dass die Stadt dieses Defizit im Haushaltsjahr 2023 noch gut auffangen konnte. Für das kommende Haushaltsjahr 2025 steht Amberg jedoch vor der Herausforderung, sowohl das Defizit von 2024 als auch das voraussichtlich entstehende Defizit von 2025 auszugleichen.
Michael Cerny erläutert, dass die städtische Verschuldung derzeit bei rund 18 bis 19 Millionen Euro liegt und sich durch die Deckung der Krankenhausdefizite im Jahr 2025 verdoppeln könnte, was eine erhebliche finanzielle Belastung darstellt.
Franka Struve-Waasner: Herr Cerny, Krankenhäuser haben schon immer Schulden gemacht. Was ist denn dieses Mal anders?
Michael Cerny: Früher waren Defizite in Krankenhäusern oft lokal und strukturell bedingt und betrafen etwa 20-30 % der Häuser. Heute schreiben rund 80 % der Krankenhäuser rote Zahlen – ein bundesweites, strukturelles Problem, das das gesamte Gesundheitswesen massiv gefährdet.
Franka Struve-Waasner: Wie sieht das denn beim St. Marien Krankenhaus in Amberg aus? Wie ist da der Stand der Dinge?
Michael Cerny: Wir zählen zu den Schwerpunktversorgern, also schon ein größeres Haus, das eigentlich alles abdeckt. Mit knapp 600 Betten sichern wir die Daseinsvorsorge und auch die fachfachspeziellen Versorgungsthemen teilweise auf universitärem Level für die ganze Region. Im Umkehrschluss ist die Stadt aber nur 40.000 Einwohner groß. In den Zeiten, wo ein Krankenhaus auskömmlich finanziert ist, ist das ein echter Standortvorteil. Im Moment sind aber die Defizite eines solchen Krankenhauses so groß, dass wir unseren kommunalen Haushalt massiv gefährden und damit natürlich auch Debatten entwickeln: Wie geht es weiter? Das verunsichert auch die Krankenhausmitarbeiter, die vor zwei, drei Jahren von der Bundespolitik beklatscht wurden, und die jetzt dastehen und sagen: Wo geht es denn hin?
Franka Struve-Waasner: Gesundheitsminister Lauterbach argumentiert: Es gibt zu viele Krankenhäuser, wir haben nicht genügend Fachpersonal, wir haben nicht genügend Geld. Das Gesundheitswesen müsse sich umstrukturieren. Und da könnte ein Schwerpunktversorger in Amberg, der weit und breit vielleicht der einzige Versorger ist, sehr gut in die Kerbe der Ambulantisierung schlagen, und Aufgaben übernehmen von niedergelassenen Ärzten, die es im ländlichen Raum zum Teil auch schon gar nicht mehr gibt. Was haben Sie da bisher angestrengt?
Michael Cerny: Also das Thema der Ambulantisierung haben wir schon in unserem Strategiepapier 2022 adressiert. Ein medizinisches Versorgungszentrum haben wir bereits aufgebaut und werden dieses auch weiter ausbauen.
Franka Struve-Waasner: Welche Spezialisierung oder welche Fächer sind im MVZ vertreten?
Michael Cerny: Die Gynäkologie ist dabei, die Radiologie, die Orthopädie, etc.. Also es sind fast alle Themenfelder dort abgedeckt. Und auch das reicht noch nicht, weil zum Beispiel unsere Kinderärzte vollkommen überlastet sind. Da wäre schon noch mehr möglich und vor allem auch mehr notwendig in diesen Bereichen. Aber dazu müssen wir mühsam versuchen, Sitze von niedergelassenen Ärzten aufzukaufen – und auch das ist teuer.
Generell ist diese strikte Trennung zwischen Krankenhaus und den Niedergelassenen hinderlich. Das wäre auch etwas, was man in dieser Reform adressieren kann, nicht nur für die kleinen Häuser, sondern auch für die Schwerpunktversorger. Die Reform selbst ist absolut richtig. Die Medizin hat solche Fortschritte gemacht in den letzten 20 Jahren. Als ich 1996 in den Stadtrat gekommen bin, da haben wir einen Chefarzt verabschiedet, das war der Generalist, der konnte praktisch alles. Und ich glaube, manche hängen diesem Idealbild noch nach: Oben ist einer, der kann alles. Wenn ich heute da reinschaue, haben wir nicht einen Generalisten, sondern wir haben 20 Topspezialisten. Oder nehmen wir den Schlaganfallpatient vor 20 Jahren: Der ist oft ins Krankenhaus eingewiesen worden und man hat halt geschaut, ob er am nächsten Tag noch lebt. Diese Patienten gehen heute mit der verbesserten Medizin oft ohne Folgeschäden raus.
Michael Cerny: …Und diese Verbesserungen für den Patienten, die werden, glaube ich, zu wenig adressiert. Es wird alles unter dem Motto kommuniziert: Wir haben zu viele Betten, wir haben zu viele Krankenhäuser, wir müssen auch Geld sparen. Aber dass es für einen einzelnen Patienten echte Mehrwerte bieten kann, wenn die Spezialisten an zentraler Stelle das häufig machen, diese Erkenntnis geht unter. Die Patienten fragen doch heute schon: Wo ist der beste Arzt? Wie sind deine Erfahrungen? Wie behandeln die das? Diesen Kernpunkt, den sollte man herausstellen. Da geht ein Schwerpunktversorger vielleicht sogar gestärkt aus der Reform. Aber der große Punkt ist: Wir müssen das auch noch erleben. Das heißt, die fehlende Finanzierung aus den Jahren 2022/23, kein Inflationsausgleich, der zieht sich ja jedes Jahr mit. Und von daher muss man sagen, auch die Krankenhäuser, die in der Reform dringend gebraucht werden, haben Riesenprobleme, den Start oder das Ende der Reform überhaupt noch zu überleben oder zu erleben. Und deswegen muss mit der Reform auch zeitgleich eine Sicherung der Krankenhäuser erfolgen, die wir zwingend für die Reform brauchen.
Franka Struve-Waasner: Es ist ja auch eine Frage der Kommunikation. Politiker hoffen, wiedergewählt zu werden. Was tun Sie in die Richtung oder gibt es da schon Maßnahmen?
Michael Cerny: Ich kandidiere nicht wieder und kann daher ohne Blick auf eine Wiederwahl agieren. Im Nachbarlandkreis sehe ich hingegen, wie ein Landrat, der erstmals wiedergewählt wird, massiv unter Druck steht: persönliche Anfeindungen, Demonstrationen, Bürgerinitiativen – alle sagen ihm, was er macht, sei falsch. Er ist irgendwo ein Getriebener, denn einerseits erkennt er die Veränderungen in den Strukturen, andererseits lassen sich die Defizite nicht mehr ausgleichen. Gerade für jemanden, der neu im Amt ist, ist das eine schwierige Situation.
Und natürlich haben wir auch in Weilheim in Bayern erlebt, dass selbst wenn die Politik und die Fachleute sich einig sind, der Bürger in einem Bürgerentscheid das Ganze auch noch mal aufheben kann. Und dann schauen sich alle in die Augen und sagen: Jetzt haben wir viel Ärger gehabt und kommen keinen Schritt weiter. Da ist es also schon wichtig, in der Kommunikation klarzumachen, dass eine Änderung für den Bürger ein echter Mehrwert ist. Und in dieser Kommunikation – und das erlebe ich bei den kleineren Krankenhäusern – spielen eigentlich zwei Themen immer eine Rolle:
Habe ich noch eine Notaufnahme? Und:
Haben wir noch eine Geburtenstation?
Weil wenn das Kind nicht bei uns geboren ist in Sulzbach-Rosenberg, dann ist es kein Sulzbach-Rosenberger. Diese emotionalen Themen müsste man auflösen. Mein radikaler Vorschlag: auch mal eine Geburtenstation als Teil der Nachbarstadt widmen zu können oder umgekehrt im Standesrecht agieren, das heißt, die Eltern können aussuchen, ob der Geburtsort oder der Wohnort der Eltern eingetragen wird. Dann würden sich schon manche Sachen massiv entspannen.
Franka Struve-Waasner: Da gibt es diese Leistungsgruppenzuteilung, die auch bei der Notfallversorgung Standards setzt.
Michael Cerny: Wir sind ein Schwerpunktversorger mit Notfallstufe 1, und in zehn Kilometern Entfernung gibt es ein Kreiskrankenhaus mit Notaufnahme. In dringenden Fällen wie Schlaganfall oder Multitrauma ist klar, dass spezialisierte Hilfe schnell verfügbar sein muss. Die Reform sieht Basisnotfallstationen vor, was sinnvoll ist. Wichtig ist aber – gerade für Flächenländer! – , dass wir in der Fläche eine Notfallversorgung als Erstanlaufstation brauchen. Und da wäre das Thema echter Vorhaltekosten, so wie sie zwar angedacht ist, aber im Gesetz leider nicht realisiert ist, extrem wichtig, denn die jetzige Vorhaltefinanzierung ist durch die Hintertür wieder fallzahlenbasiert. Eine Notfallstation wie unsere, die vielleicht 30.000 Fälle im Jahr behandelt, kann aber nicht fallzahlenbasiert finanziert sein. Da ist es irrelevant, ob es 25.000 oder 30.000 Fälle sind. Die brauche ich. Diese Notaufnahme muss standortbezogen vorgehalten werden und nicht fallbezogen. Und das ist einer der Kritikpunkte an der jetzigen Reform. Sie ist zu komplex, verspricht Dinge, die man aber durch die Hintertür sozusagen wieder aushöhlt. Und das macht die Akzeptanz so schwierig im Moment.
Franka Struve-Waasner: Noch eine letzte Frage zum Kreiskrankenhaus. Da gibt es die Forderung, dass man sich besser abspricht oder Leistungsgruppen aufteilt.
Michael Cerny: Mein Landrat hat mir gesagt, wir können über alles reden, nur nicht über das Krankenhaus – für den Kreistag ist das Kreiskrankenhaus ein wichtiges Symbol der Daseinsvorsorge, trotz steigender Defizite. Politische Zusammenarbeit sollte jedoch nicht aus finanzieller Not entstehen, sondern aus dem Ziel, die beste Struktur für die Bürger zu schaffen. Die aktuelle Gesundheitsreform setzt kleinere Krankenhäuser unter Druck, in höhere Versorgungslevel aufzusteigen, was zusätzliche Kosten verursacht. Die Reform sollte entschlackt und die Kommunikation gestärkt werden, damit das Gesundheitssystem insgesamt profitieren kann.
Und es ist auch richtig, es werden einige Krankenhäuser nicht mehr notwendig sein. Aber, wenn am Schluss das gesamte Gesundheitssystem profitiert, ist ja auch die ursprüngliche Zielsetzung dieses Gesetzes absolut richtig. Deswegen brauchen wir eine Reform, aber nicht diese.
Diplom-Kauffrau Franka Struve-Waasner ist zweifache Mutter und arbeitete knapp sechs Jahre als Pressesprecherin des Klinikums Forchheim-Fränkische Schweiz. Nach einer Station als Referentin Kommunikation beim Klinikum Neumarkt ist sie heute freiberuflich für verschiedene Unternehmen, wie das Krankenhausanalyseunternehmen BinDoc GmbH oder die Informationsplattform Health&Care Management in der Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, aktiv. Sie ist in vielfältiger Weise u.a. im Städtepartnerschaftskomitée Forchheim-Le Perreux oder DAV Sektion Forchheim engagiert. Sie ist verantwortlich für den Inhalt auf dieser Seite. Kontakt und Anschrift: franka_struve@web.de; Dreifaltigkeitsweg 1a, 91301 Forchheim
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