Von der Klinik zum Gesundheitszentrum: Wie sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen kommunale Krankenhäuser retten können

Für kleine Krankenhäuser mit weniger als 150 Betten, die rote Zahlen schreiben, bieten sich fünf Optionen:

  • Abwarten, Tee trinken und weiter Verlust machen
  • Wandlung in eine ambulante Klinik mit ambulanter Grundversorgung für die meisten gesundheitlichen Anliegen
  • Wandlung in eine Überwachungsklinik mit Unterbringung zur Beobachtung
  • Spezialisierung hin zu einer Fachklinik für die Behandlung ausschließlich bestimmter Erkrankungsbilder
  • Bildung einer sektorenübergreifende Versorgungseinrichtung (SVE) – früher Level 1i-Haus

Ein Blick auf niedrige Case-Mix-Indizes (das ist ein Maß für die durchschnittliche Schwere der Patientenfälle, also der ökonomische Ressourcenaufwand aller behandelten Krankenhausfälle in einem definierten Zeitraum), das hohe Durchschnittsalter der Patienten und die überdurchschnittliche Verweildauer aus Daten von einigen kleinen Krankenhäuser – insbesondere jenen, die sich in öffentlicher Hand befinden – implizieren, dass diese schon heute Aufgaben übernehmen, die charakteristisch sind für ambulante Kliniken oder SVEs.


Aus Sicht der Bevölkerung im ländlichen Raum ist eine ambulante Klinik oder eine SVE einer Fachklinik vorzuziehen, weil dann weiterhin eine breit gefächerte wohnortnahe medizinische Versorgung gesichert ist, denn bei der Fachklinik werden nur bestimmte Erkrankungsbilder behandelt. Sobald ein Haus kein Akut-Krankenhaus mehr ist, fällt die 24 Stunden/7 Tage pro Woche Notaufnahme weg, also wäre eine SVE eine mögliche Alternative, um eine Anlaufstelle für Hilfesuchende zu bieten.

Definition und Funktion einer sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtung

Was ist eine Sektorübergreifende Versorgungseinrichtung? Diese darf stationäre Leistungen innerhalb eines bestimmten Rahmens erbringen sowie weitere sektorenübergreifende Leistungen anbieten. Hier sollen keine komplizierten Eingriffe mehr gemacht werden, sondern unter anderem Pflege und kleinere Operationen wohnortnah erbracht werden.

Vorteile von SVEs für ländliche Regionen

Prof. Boris Augurzky, Mitglied in der ‘Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung‘, wirbt auf dem DRG-Forum im März 2024 für das Level 1i Haus, das umbenannt wurde zu Sektorübergreifender Versorungseinrichtung (SVE):

„Auf diese Weise ist das eigentlich eine tolle Chance. Ich nehme eine kommunale Situation, wo ich an einem Altstandort vielleicht sonst eine defizitäre kleine Einrichtung mit Fokus auf ambulanter Versorgung errichten müsste. Mit einem Level 1i-Haus könnte ich dagegen eine schwarze Null erreichen. Das ist eine Hilfe für kleine Kliniken.“

Er sieht ein Level 1i-Haus in Verbindung mit einem größeren Krankenhaus, das einen Landkreis mit 200.000 Einwohner versorgt. Eine Region in dieser Größe brauche ein Krankenhaus im normalen Umfang, auch an 24 /7 geöffnet für die Notfälle. Das Level 1i- Haus sei dort ‚angedockt‘.

„Es arbeitet mit einem Regionalversorger zusammen und kann an einem Altstandort – wenn dort zentralisiert wird – weiterverwendet werden“, so Boris Augurzky.

Eine ausgewiesene Klinik habe die Möglichkeit, über den Transformationsfonds zu gehen – Ein wichtiger Punkt, um die Umwandlungskosten zu finanzieren!  

„Ich sehe auch nicht 100 Betten in einem 1i-Haus, keine stationären OPs, nur ambulante. Das Bundesministerium für Gesundheit sieht es vielleicht ein bisschen anders. Ich würde eher 5 bis 30 Betten dort sehen, mit Fokus auf der Inneren Medizin. Wie gesagt, es muss vernetzt gesehen werden mit einem lokalen Regionalversorger. Dort müssen die Austausche stattfinden…. Oft sind es kommunale Krankenhäuser mit 100 bis 120 Betten, die dann in diese Richtung gehen können, wenn sie diese Betten woanders hin verlagern, in ihre Zentren. Und nebenbei gesagt, das ist so konstruiert, dass mit 1i eine schwarze Null erreicht wird – per Definition! Weil ich hausindividuelle Tagessätze habe, die auf Basis der vorliegenden Kosten, die das Level 1i hat, berechnet werden. Es gibt aber keine Selbstkostendeckung – das wäre fatal. Ich lege den zu berechnenden Tagespauschalen die Ist-Kosten der 1i-Klinik zugrunde: Was wäre pro Tag zu bezahlen bei einer erwarteten Belegung? Ich muss die Degression einbauen, sonst belege ich zu lange“, erläutert der Gesundheitsökonom.

Rechtliche Rahmenbedingungen und finanzielle Unterstützung

Quelle: Prof. Dr. Andreas Beivers – Vortrag Health Care Bayern e.V. vom 30.04.2024, Erstquelle  Schaffert.

Prof. Dr. Andreas Beivers von der Hochschule Fresenius in München listet in seinem Vortrag bei Health Care Bayern e.V. mit dem Titel ‚Welche Umwandlungsoptionen bieten sich im Bereich der sektorübergreifenden Versorgungseinrichtungen(Level-1i)?‘ die vielen rechtlichen Vorgaben, die mit der ambulanten Leistungserbringung verbunden sind und die für SVEs relevant sind. Er kritisiert, dass die SVE ‚überfrachtet‘ seien mit unterschiedlichen Erwartungen und Intentionen.
Krankenhäuser können bereits jetzt ermächtigt werden ambulante oder stationäre Leistungen auch in einem Zwischenbereich zu erbringen. Dabei bevorzugt Prof. Beivers den Begriff ‚stationsersetzende Versorgung‘. Allerdings gibt es einen immensen Dschungel an staatlichen Verordnungen, angefangen bei der ASV (Ambulante Spezialfachärztliche Versorgung) und des AOP-Katalogs (Ambulant Operative Eingriffe) bis zu den Hybrid DRGs (Diagnosis Related Groups). Hinzu kommen die von der Regierungskommission empfohlenen Tagesstationären Leistungen, die auch für SVE eine Rolle spielen können.
Laut einer geplanten Änderung des § 6b (Krankenhausfinanzierungsgesetz) soll die zuständige Behörde diejenigen Krankenhäuser benennen, die über ihren stationären Versorgungsauftrag hinaus sektorübergreifende Leistungen erbringen können und als sektorübergreifende Versorgungseinrichtung betrieben werden sollen.

Doch welche Leistungsgruppen sollen den Level 1i-Häusern zugeteilt werden?
Prof. Beivers sieht Probleme bei einer möglichen Inkongruenz zwischen Versorgungsauftrag aus der Krankenhausplanung der Bundesländer und den zugeteilten Leistungsgruppen. Wenn bei einem Krankenhaus Versorgungsaufträge für bestimmte Fachrichtungen / Indikationsgebiete bestehen und das Land mittels Rechtsverordnung auf Basis des Bundesgesetzes dem Haus Leistungsgruppen zuteilen muss, führt dies zu Konflikten, wenn die zugeteilten Leistungsgruppen nicht mehr mit den Vorgaben des Krankenhausplans übereinstimmen. Es entsteht eine Art „doppelte Krankenhausplanung“: Eine normative, die auf dem Papier existiert, und eine tatsächliche, in der beispielsweise ein Krankenhaus einen Versorgungsauftrag für Urologie hat, jedoch nicht berechtigt ist, die entsprechende Leistungsgruppe abzurechnen.

Schwarze Zahlen – die Finanzierung

Bis dato ist das ambulante Arbeiten für Kliniken für Krankenhäuser oftmals defizitär. Es gefährdet Kliniken in ihrer ökonomischen Tragfähigkeit, so Beivers. Die SEVs bekommen – Stand Ende April 2024 – keine Vorhaltebudgets. Daher ist es zentral, deren ökonomische Tragfähigkeit nach Umwandlung zu prüfen, damit dergleichen Modelle auch langfristig die Versorgung in den Regionen sicherstellen können.
Selbstkritisch zählt der Referentenentwurf vom 13. März 2024 Punkte auf, die noch zu diskutieren sind.

Quelle: Krankenhausreform 2024Referentenentwurf vom 13. März 2024 Stand 18.4.2024 von Institute for Health Care Business GmbH

Die Krankenhausanalysefirma BinDoc GmbH kommt in einer Life-Analytic-Session zu dem Schluss, dass erste Business Cases für Level 1i-Häuser kalkulierbar sind auf Basis der bereits zur Verfügung stehenden Daten, wobei abrechnungstechnisch unterschieden wird zwischen Bereichen, in denen keine Unterversorung besteht (Abrechnung mit Krankenkasse ) – Innere Medizin, Geriatrie – und unterversorgten Bereichen (Abrechnung mit Kassenärztlicher Vereinigung).

Hier die geplante Vergütung: LG=Leistungsgruppen KK=Krankenkasse, KV=Kassenärztliche Vereinigung, EBM=Einheitlicher Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen. Quelle: BinDoc GmbH
Screenshot

Dieses Mal ist – im Vergleich zu vorherigen Reformbemühungen – einiges anders:

  • Kliniken stehen unter erheblichen wirtschaftlichen Druck
  • Kommunen werden Verluste nicht beliebig auffangen können
  • Demographie und Fachkräfte sind der limitierende Faktor
  • Der niedergelassene Bereich kann das Ambulantisierungsvolumen nicht stemmen.

Fazit: Eine nachhaltige Zukunft durch SVEs?

„Ist ein Krankenhaus erst mal weg, kann nicht so schnell eine alternative Einrichtung aufgebaut werden“, gibt ein Geschäftsführer eines Krankenhauses der Grund- und Regelversorgung zu denken. In der Quintessenz kann eine Wandlung in ein sektorübergreifendes Versorgungszentrum für defizitäre kleine Krankenhäuser eine mögliche strategische Lösung für eine nachhaltige zukunftssichere Positionierung sein.

Veröffentlicht von Franka Struve-Waasner

Diplom-Kauffrau Franka Struve-Waasner ist zweifache Mutter und arbeitete knapp sechs Jahre als Pressesprecherin des Klinikums Forchheim-Fränkische Schweiz. Nach einer Station als Referentin Kommunikation beim Klinikum Neumarkt ist sie heute freiberuflich für verschiedene Unternehmen, wie das Krankenhausanalyseunternehmen BinDoc GmbH oder die Informationsplattform Health&Care Management im Holzmann-Verlag, aktiv. Sie ist in vielfältiger Weise u.a. im Städtepartnerschaftskomitée Forchheim-Le Perreux oder DAV Sektion Forchheim engagiert.

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