Forchheim, 04.02.2024 – Im Jahr 2019 verlor Joachim Greuner seine Frau und seinen ungeborenen Sohn Maxime aufgrund einer nicht erkannten Sepsis in einem Krankenhaus.
Ann-Christin Reckordt vom Aktionsbündnis Patientensicherheit ist die Projektkoordinatorin von ‚Stimmen für Patientensicherheit‚ (www.stimmen-fuer-patientensicherheit.de). Das Projekt hat das Ziel, Patienten Aufmerksamkeit entgegenzubringen und ihre Erfahrungen im medizinischen Versorgungsprozess anzuhören. Sie betont:
„In dem Projekt lassen wir die Patientinnen und Patienten selbst zu Wort kommen. Das ist bisher in Deutschland viel zu selten der Fall. Es ist wichtig, ihnen oder ihren Angehörigen eine Stimme zu geben, weil ihre Erfahrungen zu wenig Beachtung im komplexen deutschen Gesundheitssystem finden, obwohl sie häufig die einzige Konstante im gesamten medizinischen Versorgungsprozess sind.“
Ann-Christin Reckordt, Aktionsbündnis Patientensicherheit

Im Rahmen des Projekts werden Patienten ermutigt, ihre Erfahrungen zu teilen, ohne Schuldzuweisungen oder Anprangerungen. Das Ziel ist, dass Patienten sich trauen, Unstimmigkeiten im Versorgungsprozess anzusprechen und aktiv an ihrer eigenen Gesundheitsversorgung teilzunehmen.
Das Projekt läuft seit April 2023 und beinhaltet eine Onlineplattform, auf der Erfahrungen der Patienten in Form von Videos geteilt werden. Hier schildert Joachim Greuner aus seiner Sicht das Vorgefallene. Die Videos sollen auch in die medizinische Lehre integriert werden, um Medizinstudierende für das Thema Patientensicherheit zu sensibilisieren.
Patienten sensibilisieren und Sicherheitskultur stärken
Das Projekt „Patients for Patients Safety“ wird vom Bundesministerium für Gesundheit gefördert und setzt die Forderungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Globalen Aktionsplan für Patientensicherheit 2021-2030 um. Es zielt darauf ab, Patienten in die Sensibilisierung für Patientensicherheit einzubeziehen und die Sicherheitskultur im Gesundheitswesen zu stärken.
Ein wichtiger Aspekt des Projekts ist die Förderung einer offenen Kommunikation über Fehler und die Schaffung einer Sicherheitskultur. Es geht nicht nur um Behandlungsfehler, sondern auch die Stärkung der Gesundheitskompetenz der Patienten und um ungünstig gestaltete Prozesse.
Aus der Luftfahrtbranche lernen
Cordula Pflaum, Lufthansa-Ausbildungskapitänin, betont die Bedeutung psychologisch sicherer Teams im Gesundheitswesen. In Zusammenarbeit unter anderem mit dem Klinikum rechts der Isar, der Technische Universität München TUM und der AO Foundation transformiert sie diese Skills in die Medizin. Sie vergleicht die Ansätze der Luftfahrtbranche und des Gesundheitswesens zur Fehlerkultur und Kommunikation.
Die Überwindung hierarchischer Strukturen im Gesundheitswesen wird als Herausforderung diskutiert. Die Einführung von klaren Kommunikationsrichtlinien nennt sie als möglichen Ansatz zur Verbesserung der Patientensicherheit.
Das Threat and Error Management-Modell (Bedrohungs- und Fehlermanagement) aus der Luftfahrt wird vorgestellt, um Bedrohungen und Fehler frühzeitig zu erkennen und Kompetenzen im Umgang mit ihnen zu entwickeln.

Hier sind einige Schritte, um eine solche Kultur zu etablieren:
- Top-Down-Führung: Die Sicherheitskultur muss von der Führungsebene gelebt und gefördert werden. Die oberste Führungsebene sollte sich aktiv für die Sicherheit der Patienten und die psychologische Sicherheit der Teams einsetzen.
- Just Culture: Einführung einer „Just Culture“, in der Fehler ohne sofortige Bestrafung gemeldet werden können. Dies fördert Offenheit und Transparenz bei der Fehlerberichterstattung und ermöglicht es, aus Fehlern zu lernen, anstatt sie zu vertuschen oder zu bestrafen.
- Kommunikation: Wenn klare und offene Kommunikation gefördert wird, sind psychologisch sichere Teams in der Lage, Bedenken anzusprechen und Fragen zu stellen. Dies sollte nicht nur zwischen den Mitgliedern des medizinischen Teams geschehen, sondern auch zwischen den Hierarchieebenen.
- Hierarchien überwinden: Obwohl Hierarchien in der Medizin wichtig sein können, um im Ernstfall schnelle Entscheidungen zu treffen, sollten sie nicht dazu führen, dass Fehler oder Bedenken ignoriert werden. Die Führungskräfte sollten sicherstellen, dass alle Teammitglieder in der Lage sind, ihre Meinungen und Bedenken zu äußern, ohne Angst vor negativen Konsequenzen zu haben.
„Wenn man die Rolle kennt, die jemand innehat, und wenn er sich nicht dementsprechend verhält, kann ich einfach fragen, warum tust du das, weil eigentlich ist vorgesehen, dass du dich so und so verhältst. Das ist das eine – top Down – es ist absolut essentiell. Dass die Führungskraft und oder der Vorgesetzte oder der Chefarzt das auch lebt und zeigt und eine Einladung ausspricht ist die andere Komponente“, erläutert die Kommandantin der Luftfahrt.
Cordula Pflaum
- Bedrohungs- und Fehlermanagement: Ein implementiertes Bedrohungs- und Fehlermanagement-System hilft Teams, sich auf Bedrohungen und Fehler vorzubereiten, diese zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren. Dies fördert proaktives Handeln und kann dazu beitragen, unerwartete Zwischenfälle zu verhindern.
- Checklisten und Routinen: Checklisten und Routinen, helfen sicherzustellen, dass wichtige Schritte und Sicherheitsmaßnahmen in jedem medizinischen Verfahren befolgt werden. Diese sollten regelmäßig überprüft und aktualisiert werden, wie zum Beispiel Team-Time-Out, die letzte Sicherheitsstufe, die ein Operationsteam vor einem Eingriff beachten muss,
- Fehleranalyse und Lernen: Wenn Fehler auftreten, ist eine ausführliche Untersuchung der Ursachen hilfreich. Das Hauptziel sollte nicht die Bestrafung der Mitarbeitenden sein, sondern vielmehr der Erkenntnisgewinn aus Fehlern sein. „Warum wurde dieser Fehler gemacht? Wurde er gemacht, weil die Person ihre Revision nicht gelesen hat, weil sie schlecht trainiert ist, weil sie unausgeschlafen ist, weil sie vorher auf dem Karnevalsball war? Oder handelt es sich um eine Person, die den Fehler immer wieder macht, weil sie diese Regel nicht einsieht“, erläutert Cordula Pflaum.
- Patientenaufklärung: Wenn Patienten darüber informiert sind, dass Menschen Fehler machen können und dass eine offene Kommunikation über Fehler und Bedenken gefördert wird, fühlen sie sich ermutigt, Fragen zu stellen und ihre Anliegen zu äußern. Sie werden sozusagen Teil des Teams.
Die Übertragung von Erkenntnissen aus der Luftfahrtbranche auf die Medizin kann dazu beitragen, eine Kultur der Sicherheit zu schaffen, die dazu dient, Patienten besser zu schützen. Die Prinzipien des Threat and Error Management sind dabei ein wertvoller Ansatzpunkt.
Abschließend betont Cordula Pflaum die Wichtigkeit einer offenen Kommunikationskultur, in der Fehler angesprochen, analysiert und aus ihnen gelernt wird. Die Rolle von Führungskräften bei der Etablierung dieser Kultur wird hervorgehoben.
Das Projekt ‚Stimmen für Patientensicherheit‘ zielt darauf ab, das Bewusstsein für Patientensicherheit zu stärken und proaktiv zur Verringerung von Behandlungsfehlern beizutragen.